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dranbleiben!
Daniel Gröne

Warum Modelle und Frameworks keine Erfolgsgarantie bieten

Ein Plädoyer für mehr Reflexion in Change-Projekten

Lagebestimmung

Change-Management wird in vielen IT-Projekten vermehrt zum Standard und könnte schon bald, neben dem Projektmanagement ein fester Bestandteil dieser Vorhaben werden. Erfahrene Manager1 haben – zum Glück – erkannt, dass neben einer reibungslosen technischen Implementierung und umfassenden Anwenderschulungen, auch die bewusste Begleitung der betroffenen Organisation wesentlich für den Projekterfolg sind.

Von dieser Erkenntnis getrieben, entwickeln Forscher und Berater eine Flut von Best-Practice-Modellen und ganze Beratungsangebote für effektive Veränderungsmaßnahmen. Führungskräfte, Change Manager und Projektleiter können somit auf eine Fundgrube von Anleitungen, Methoden und Vorlagen zurückgreifen – sehen sich in der Anwendung jedoch viel zu oft mit scheinbar alltäglichen Problemen konfrontiert. Um den ambitionierten Rollout-Plan nicht zu gefährden, reagieren vielen Verantwortliche mit der Bearbeitung der operativen Probleme und versuchen mit Offene-Punkte-Listen (OPL) oder PM-Systemen den Überblick zu behalten:

Alltagsproblem Scheinbare Lösung
Die Leitung beklagt geringes Engagement und Mitwirkung durch die betroffenen Mitarbeitenden. Umfassende Kommunikations- und Marketingmaßnahmen sollen Betroffene zu Beteiligten machen.
Wichtige Entscheidungen werden nicht aktiv getroffen oder regelmäßig vertagt, bis Kompromisse schließlich unter Druck eingegangen werden müssen. In regelmäßigen Change-Boards sollen aufkommende Probleme analysiert und schnelle Entscheidungen getroffen werden.
Die Betroffenen haben das Gefühl, dass wesentliche Bedenken und Ängste nicht gehört werden und blockieren schließlich den Veränderungsprozess. Anonymisierte Anwenderbefragungen sollen Bedenkenträgern die Möglichkeit geben, ihre Ängste und Bedenken zu äußern.
Anwender kritisieren den wahrgenommenen Mehraufwand neuer Arbeitsabläufe, die das neu einzuführende System mit sich bringt. Neue Arbeitsabläufe werden zugunsten der Akzeptanz verworfen und das System an die bekannten Prozesse angepasst.
Das neue Produkt – großzügig als Verbesserung der Arbeitsabläufe angekündigt – ist zu komplex und stiftet große Verwirrung in der Belegschaft. Der Funktionsumfang des Systems wird sukzessive reduziert, um die Anwender nicht zu überfordern.

Von der operativen Ebene betrachtet scheinen diese kurzfristigen Problemlösungen sinnvoll und effektiv, im zeitlichen Verlauf des Veränderungsprozesses zeigen sich jedoch wiederkehrende Probleme: Ursprüngliche Projektziele müssen überarbeitet, Leistungsumfänge des IT-Systems reduziert und Zeitpläne verlängert werden. Die Inhalte der OPLs steigen drastisch, das Backlog in den PM-Systemen wird immer größer, der Projektmanager kommt mit der Anpassung des Projektplans nicht mehr hinterher, bis dieser schließlich nur noch unregelmäßig (z.B. vor wichtigen Sitzungen des Projektlenkungsausschusses) aktualisiert wird. Warum sind viele IT-Projekte trotz fachgerechter Anwendung von hoch gelobten und etablierten Change-Management-Frameworks trotzdem nicht komplikationsfrei?

Vereinfachung als Ausweg aus der Komplexität

Die meisten Change-Modelle versuchen die Phänomene komplexer Transformation in einfachen sequenziellen Phasen darzustellen und leiten hieran konkrete Maßnahmen ab. Es ist egal, ob man sich Kotters acht Stufen der Veränderung, dem 5-Phasenmodell ADKAR oder dem 3-Schritt nach Lewin (um hier nur eine Auswahl zu nennen) verschreibt, eines haben alle Modelle gemeinsam: Sie sind ein guter Orientierungsrahmen, um Veränderungsinitiativen zu gestalten. Man wird jedoch schnell eines Besseren belehrt, wenn man annimmt, dass diese als Allheilmittel auf jede Organisation anzuwenden sind. Auch die Hoffnung, dass dieses Modell das Verhalten der Mitarbeiter der betroffenen Organisation prophezeien und die gesamte Belegschaft gleichzeitig von einer Phase zur anderen wechseln, ist ein Trugschluss, der oftmals in der inhärenten Vereinfachung dieser Modelle begründet ist. Wir empfehlen, dass Change-Manager und Führungskräfte sich von etablierten Modellen inspirieren lassen sollten, die Grundlagen von Organisationswissenschaften und Verhaltenspsychologie kennen und darauf aufbauend eine eigens angepasste Change-Architektur für ihre jeweilige Veränderungsinitiative gestalten – am besten unter Einbezug von betroffenen Mitarbeitern.

Beteiligung muss freiwillig sein

Über die Jahre sind viele Mitarbeiter direkt oder indirekt von einer Vielzahl von Change-Initiativen betroffen. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Bereitschaft sich an einem neuen Projekt zu beteiligen anfänglich nicht sonderlich hoch ist. Das Widerstreben für Gestaltung oder Mitbestimmung bedeutet jedoch nicht, dass diese Mitarbeiter weniger motiviert oder engagiert sind. Womöglich fürchten sie die Mehrarbeit oder möchten einfach gewissenhaft ihre eigentlichen Aufgaben erledigen. Aus diesem Grund muss Mitarbeiterbeteiligung in nachhaltigen Change-Projekten unbedingt freiwillig und flexibel sein. Verantwortliche Change Manager sollten Partizipation als Angebot formulieren und zudem ermöglichen, dass die Intensität der Beteiligung bzw. die persönliche Auseinandersetzung mit der Veränderung den jeweiligen Bedürfnissen entsprechen kann. Viele Widerstände in klassischen Veränderungsprojekten sind auch in den Change-Maßnahmen selbst begründet.

Die goldene Mitte finden

Effektive Veränderungsmaßnahmen sollen das Kollektiv der Belegschaft erreichen, jedoch auch die jeweiligen Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigen. Wie kann dieser Balanceakt zwischen Gießkannen-Prinzip und Leuchtturm-Politik gelingen? Wir glauben, dass das Wechselspiel von Aktivität und Reflexion der Handlungen ein Garant eines nachhaltigen Change-Projektes ist. Durch regelmäßige und geplante Phasen der Reflexion können – kollektive wie individuelle – Widerstände erkannt und die Effektivität der vorangegangenen Maßnahmen analysiert werden.

Widerstände lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Dem rationalen Widerstand, also logische Argumente gegen den Wandel, können Führungskräfte mit nachvollziehbaren Argumenten für die Notwendigkeit der Veränderung begegnen. Politischer Widerstand entsteht meist aus der Angst, auf Grund von Veränderungen im Unternehmen an Einfluss und Macht zu verlieren. Diese Form des Widerstands bleibt im Veränderungsprozess meist verdeckt, führt jedoch durch einen starken Macherhaltungswillen oft zu irrationalen Handlungen der Betroffenen. Emotionaler Widerstand entsteht aus mehr oder weniger konkreten Befürchtungen und Ängsten. Diese Emotionen sind selten rational erklärbar, sondern oftmals subjektiv – gar latent – sodass die Konfrontation mit logischen Argumenten nur wenig hilft. Die Haltung in der Arbeit mit Widerständen ist einfach: Raum für Gefühle geben, aktives Zuhören und die jeweiligen Bedenken ernst nehmen! Viele Widerstände sind Reaktionen auf Unsicherheiten und sollten daher nicht bekämpft, sondern vielmehr in den Gestaltungsprozess aktiv integriert werden. Eine nachhaltige Veränderungsarchitektur schafft einen Raum für wirksame Maßnahmen und ermöglicht Reflexion, um flexibel auf Unerwartetes reagieren zu können.

Wer nicht will findet Gründe, wer will findet Wege

Aktives Zuhören und regelmäßige Reflexionsrunden mit Betroffenen bergen gerade in Krisenzeiten auch die Gefahr in einen Opfermodus zu verfallen. Sich ärgern, beklagen oder jammern gehören im Arbeitsalltag dazu und bieten dem Betroffenen innerpsychisch eine Auszeit, um Kraft für die kreative Auseinandersetzung und Gestaltung zu sammeln. Ist der Betroffene jedoch inter- wie intrapsychisch nicht in der Lage sich zu engagieren, begnügt er sich häufig damit, den bestehenden Zustand zu beklagen. Der Jammer-Modus wird gestartet und neigt irgendwann dazu, sich zu verselbstständigen: Die Opferhaltung manifestiert sich, der Betroffene gerät in Dauerschleifen und übersieht die Abzweigungen zu Neuem.

Die Verhaltenspsychologie lehrt uns, dass schon das Beobachten und die Beschäftigung mit sich selbst zu einer Verhaltensänderung führen kann, ohne dass ein Auftrag extern auferlegt werden muss. Neben der Auseinandersetzung mit Widerständen durch aktives Zuhören und dem Einrichten von Transformationsräumen, sollte man Betroffene zur Reflexion des eigenen Verhaltens einladen. Dies ist explizit keine akzeptanz-bildende Maßnahmen, sondern vielmehr eine Aufforderung sich über persönliche Bedürfnisse und Wünsche klar zu werden. Danach können gemeinsam entsprechende Maßnahmen entwickelt werden, um den jeweiligen Bedarfen zu begegnen.

Unsere Forderung: Change-Management neu denken

Die Steigerung des Stellenwerts von Change-Management in IT-Projekten ist richtig und wichtig, allerdings sollten wir einen Paradigmenwechsel wagen. Die lehrbuchartige Anwendung von One-Size-Fits-All-Frameworks ist nicht nur eine Zumutung für betroffenen Mitarbeiter, sondern beschreibt auch die Ursache von massiven Widerständen gegenüber der eigentlich begleiteten Veränderungsinitiative. Etablierte Methoden und Modelle bieten eine gute Orientierung, sollten jedoch ausschließlich als Gedankenmodelle verstanden werden. Der Fokus der Arbeit mit den Betroffenen sollte weg von standardisierten Phasenmodellen hin zur aktiven Reflexion und Arbeit mit den realen Bedenken und Widerständen der Angehörigen gerichtet sein. Anstatt das Wettrüsten einer Vielzahl von Change-Modellen zu begünstigen, plädieren wir für eine mutige Auseinandersetzung mit den manifesten sowie latenten Dynamiken in der Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Hierzu sollten Führungskräfte, Change Manger und Berater dazu bereit sein, bisherige Veränderungsprojekte und -maßnahmen – unter Einbezug der Belegschaft – kritisch zu hinterfragen und neue Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die den emotionalen Bedarf der Betroffenen berücksichtigen. Um echten Wandel zu ermöglichen, benötigen die Change Agents von morgen ein hohes Maß an Reflexivität, ehrliche und erfahrene Sparringspartner und eben keine Konzeptverkäufer.

Zum Autor Daniel Gröne

Daniel Gröne ist Organisationsanalytiker und psychodynamischer Coach. Zusammen mit seinen Kollegen bei Inn:Syn begleitet er Führungskräfte und Organisationen bei komplexen Vorhaben und befähigt zur Reflexion, Veränderung, Transformation und nachhaltigen Wachstum.

Inn:Syn denkt Beratung anders. Durch die Verbindung klassischer Strategieberatung mit neuen Methoden der psychodynamischen Organisationsberatung begegnen die Berater Organisationen und ihren Mitarbeitern mit einem holistischen und interdisziplinären Ansatz. Sie schaffen das Verständnis für das Unbewusste – als eine der größten Stärken im Organisationsverhalten – und verbessern durch die Schaffung konsequenter Reflexionsräume die Handlungsfähigkeit von Organisationen.

Fußnoten

1: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

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